Postkarte-02Postkarte
versenden
(Blumen auf Kreta)

Gästebuch

Zoom-Faktor:
50%
100%
150%
200%
500%
1000%

 

Hörtext, Tei 1
Nikolaos Rebelakis, geboren 1951 in Kaliviani

Über ein Menschenschicksal und die schreckliche Junta-Zeit (1967 - 1974) in Griechenland.

Heute, im Jahre 2007, ist Niko (so wird er hier genannt) 56 Jahre alt und lebt in Athen. Jeden Sommer verbringt er jedoch in seinem Heimatdorf Kaliviani auf Kreta bei seinem Vater Manolis (90 Jahre Nikos Revelakis vor unserem Gesprächalt), ein ehemaliger Schäfer und Käsehersteller. Die furchtbaren Erlebnisse, die Niko als 22jähriger Student erleiden musste, wirken sich bis heute auf sein Leben aus. Doch nun alles der Reihe nach: Der kleine Niko wurde 1951 in Kaliviani geboren und ging, wie alle Kinder, im Alter von 6 Jahren in die Volksschule nach Koudoufiana. Nikolakis (der kleine Niko) war ein einfacher Bauernsohn, doch als einer der besten Schüler wurde er später für die gymnasiale Oberstufe in Kissamos vorgeschlagen. Dorthin ging Nikolaos fortan; jeden morgen – barfuss und zu Fuss – eine Stunde lang hin, und am Nachmittag eine Stunde zurück. Das Lernen machte ihm Spaß, und mit dem besten Abschluss-Abitur seines Jahrgangs stand dem Besuch der Technischen Hochschule in Athen nichts mehr im Wege. Die Qualität des Käses seines Vaters Manolis aus Kreta hatte sich bis nach Athen herum gesprochen, und so fand Vater Manolis als Leiter einer Käserei Anstellung in der Nähe seines Sohnes, um ihn zu unterstützen und die Ausbildung zu finanzieren. Dies alles begann im September 1970. Niko lernte in der Universität Athen den „Ingenieur für Agrar und Landesvermessung“ (Αγρονόμων τοπογράφων μηχανικών) und, wie er mir betonte, war dieser Beruf damals weit höher angesehen, als der heute hochgeschatzte Beruf des Arztes.

Lassen Sie mich einen kleinen Zeitsprung zurück machen. Seit dem 21. April 1967 herrschte in Griechenland eine Diktatur mit allem, was das Leben erschwerte. Acht schwarze Jahre sollte diese Diktatur anhalten, bis sie im Juli 1974 endlich durch eine Demokratie unter der Leitung von Kostas Karamalis abgelöst werden konnte. In dieser Zeit gab es strikte Reglementierungen und eine äußerst aktive Geheimpolizei, die so genannte Asphalia (von ασφάλεια = Sicherheit), die im Auftrag der Regierung die Bevölkerung bespitzelte und Versammlungen verhinderte. Die Griechen murrten, aber hielten größtenteils still, denn nach dem 2. Weltkrieg steckten der Bevölkerung Hunger und Not noch allzu gut in den Knochen und es gab zumindest wieder genug zu Essen und Aussicht auf etwas mehr Wohlstand. Doch zurück zum damaligen Geschehen:

Hörtext, Teil 2
Auf der Universität regte sich erster Widerstand gegen die allmächtige Bevormundung und Diktatur. Nikolaos Rebelakis, als Kreter geboren und daher vielleicht mit einer natürlichen Extraportion Widerstand und Sinn für Gerechtigkeit im Blut, gehörte zu den Studenten, die außer dem Lernen und Geldverdienen noch mehr vom Leben verlangten, nämlich Freiheit, freien Zugang zu den Hochschulen und,  über allem stehend, freie Wahlen und Demokratie. Dafür standen sie auf und erhoben ihre Stimmen. Die Studenten hörten damals heimlich die Radiosender BBC, Deutsche Welle und Radio Moskau, um an Informationen zu gelangen, die nicht von der griechischen Diktatur zensiert worden waren, denn die Zeitungen waren zu der Zeit alle gleich geschaltet. Ganz vorn mit dabei waren die Studenten Vasilis Pendaris (heute Politiker) und Johanna Karistian. Andere mutige Studenten schlossen sich ihnen an. Niko erklärte mir, dass von ca 100 Studenten pro Klassengemeinschaft ungefähr 3 Studenten aktiv im Widerstand gegen die Diktatur und für eine neue Verfassung mitarbeiteten. Zu groß war die Angst der anderen vor den Repressalien und Verfolgungen durch die Geheimpolizei.
Ende März 1973 wurde Niko als Anführer des Widerstandes auf dem Universitätsgelände von der Polizei festgenommen und anschließend auf der Wache verhört. Man zwang ihn, die Namen anderer Mitstudenten preiszugeben, doch Niko hielt dicht, stellte sich vor seine Freunde und verriet sie nicht. Daraufhin wurde er von der Polizei gefoltert. Schwere Misshandlungen durch Schläge auf den Kopf und an die Ohren verletzten Niko so stark, dass er 6 Mal ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Doch er verriet seine Freunde niemals. Schließlich wurde er in die Psychiatrie eingewiesen und unter Beruhigungsmittel gestellt. Niko war zu dieser Zeit 22 Jahre alt!
Hörtext, Teil 3
Kurz darauf, am 17. November 1973 wurden bei einem weiteren Studentenaufstand 10 Studenten (ungenaue Angabe, denn Niko kann sich verständlicherweise nicht genau daran erinnern) durch das Militär getötet, dass mit Panzern die Universität besetzte und den Widerstand der Studenten brechen wollte.
Von den Folgen der Folter durch die Staatspolizei und der Zwangseinweisung und Ruhigstellung in der Psychiatrie konnte sich Niko nicht mehr erholen. Als er 1981, im Alter von 30 Jahren zur Griechischen Bundeswehr eingezogen werden sollte, bescheinigte man ihm eine 80%ige Behinderung und stellte ihn frei. Als damaliger Student mit den besten Leistungen bescheinigte man ihm den Hochschulabschluss, auch ohne die geschriebenen Prüfungen, die er aufgrund der Zwangseinweisung in die Psychiatrie nicht mehr schreiben konnte. Fortan lebte Niko allein mit seinem Schicksal. Seine psychische Verfassung war labil, sensibel, empfindlich und ängstlich Nikos Revelakis nach unserem Gesprächund man riet ihm daraufhin, nicht zu heiraten und keine Kinder zu bekommen. Ein schweres Los, denn bis heute stehen bei den Griechen Hochzeit und Kinder an oberster Priorität. Keiner konnte sich vorstellen, dass Niko je wieder „normal“ empfinden könne. So lebt er bis heute allein in Athen und besucht jedes Jahr für ein bis zwei Monate seinen nach Kreta zurückgekehrten alten Vater in Kaliviani, wo ich ihn kennen lernen durfte und er mir seine Geschichte erzählte.

Hörtext, Teil 4
Jedes Jahr zum Nationalen Unabhängigkeitstag und Fall der Diktatur am 24. Juli 1974 wird Niko als Ehrengast zu verschiedenen Feiern eingeladen und als Widerstandskämpfer gewürdigt. Dem schaut er gelassen zu. Heute, mit 56 Jahren (noch immer nimmt er Beruhigungsmittel, und noch immer hat ihn keiner mit einer Psychotherapie versucht zu helfen) interessiert er sich für Probleme der Mathematik und verfolgt die politischen Geschehnisse. Ein großes Vorbild war und ist für ihn der kretische Freiheitskämpfer Lefteris Venizelos. Auch der deutsche Politiker Willi Brand hat Niko dauerhaft beeindruckt und er bedauert dessen Ausscheiden aus der Politik. Ein Buch liebt Niko von ganzem Herzen, und dieses Buch müsse man auch mit dem Herzen verstehen lernen, sagte mir Niko, und er meint damit die Bibel. Es stehe nur Wahres darin und sein Blick wird plötzlich weich. Schönheit, Leid und Würde strahlt aus diesem Mann, als er mir sagte, er habe dem Smailis verziehen, seinem damaligen Folterer von der Polizei, der heute noch in Athen lebt.

Wer mehr lesen möchte über die damalige Junta-Zeit in Griechenland, kann hier fündig werden.

 

[home] [Kaliviani] [Ausflüge] [Strände] [Jahreszeiten] [Restaurants] [Rezepte] [Werkstätten] [Landwirtschaft] [Feste + Kultur] [Kissamos] [Notfälle]
Google World Wide Web
www.my-Kaliviani.com (Suche innerhalb dieser Website)

 

Copyright © 2010 - 2014  Kirsten Voss